Bei mir in der Nähe gibt es eine sogenannte "Sprachdusche". Man kann sich darunter stellen und drückt man auf einen Knopf erklingen Geschichten, die Leute aus der Umgebung oder auch Schulklassen, Kinder wie Erwachsene also, geschrieben haben.
Ich habe mal einen Text dafür geschrieben, der aber nicht aufgenommen wurde. Mir gefällt er trotzdem immernoch so gut, dass ich ihn dir zeigen möchte.
(Buch aufschlagen, Seitenblättern)
Vielleicht, erkennt Fine, ist es eine gute Entscheidung gewesen herzukommen. In fünf oder sechs Jahren würde sie wieder zum Studieren wegziehen müssen, aber bis dahin will sie bestimmt gerne hier bleiben. Und wer weiß ob sie nicht als Erwachsene mit Familie zum Leben hierher zurückkehren wird.
(erneutes kurzes Seitenblättern)
An einem sonnigen Freitagnachmittag sitzt Fine auf ihrer Lieblingsbank am Teich gegenüber des Friseursalons und genießt die Sonne, die nun langsam an Kraft und Wärme gewinnt. Auf ihrem Schoß liegt ein aufgeschlagener Roman, doch heute lenkt das Treiben um sie herum Fine zu sehr ab, als dass sie auch nur eine Seite hätte zu ende lesen können. Heute ist Wochenmarkt und die Stadt voll mit Besuchern aus den umliegenden Dörfern und der nahegelegenen Großstadt und den Anwohnern, die bei diesem angenehmen Wetter alle ihren Geschäften und Einkäufen nachgehen. Eine alte Dame mit Gehhilfe legt langsam ihren Weg zur anderen Straßenseite zurück. Die wartenden Autos glänzen in der Sonne und scheinen sich heute besonders herausgeputzt zu haben, um mit ihren Lackfarben und den Fenstern das Sonnenlicht in zahlreiche Gesichter zu lenken. Auf der anderen Seite angekommen muss die Dame schließlich stehenbleiben um zwei kleinen Kindern auszuweichen. Als die Mutter dazustößt lächelt die alte Frau und wünscht der Familie einen guten Tag.
Fine beobachtet die Menschen um sie herum gerne. Deshalb war sie erst recht enttäuscht, dass ihre Eltern ausgerechnet in ein winzig anmutendes Dorf bei B. ziehen mussten. Sie war in der Großstadt immer zuhause gewesen und hatte sich dort wirklich wohlgefühlt. Inzwischen wusste sie, dass selbst im kleinsten Dorf viel los sein konnte und besonders zu Festtagen wie dem traditionellen Vogelschießen im Mai fast alle Dorfbewohner gerne zusammensaßen und die Alten ihren Klönschnack bei Kaff und Kuchen. Und wenn es Fine mal zu ruhig wurde, konnte sie noch immer mit ihren Freundinnen nach H. fahren. Allerdings kam sie dort selten zum stillen Beobachten - dafür lenkte sie der Trubel zu sehr ab. Einfach so auf der Bank sitzen und nachdenken, war in der Großstadt manchmal gar nicht so einfach, überlegt Fine. Wirklich zur Ruhe wie jetzt kam sie auch nur in dem kleinen Garten der Familie oder im großen Stadtpark.
Auf der neuen Schule fühlt Fine sich schon recht wohl und langsam fängt ihr das Kleinstadtleben an Spaß zu machen. Viele Leute kannte sie und es gab ein paar Geschäfte, die es Fine wirklich angetan hatten. Im Stöberlädchen bei Edeka um die Ecke und in der Buchhandlung in der kleinen Villa gegenüber des Bäckers war sie bereits Stammkundin. Und eine Büchereikarte hatte sie sich gleich nach ihrem Einzug natürlich auch geben lassen. Selbst wenn das Sortiment vergleichsweise nicht so umfangreich war und die Räumlichkeiten recht klein anmuteten, so fand Fine, war die Bücherei sehr gemütlich. Vielleicht, erkennt Fine, ist es eine gute Entscheidung gewesen herzukommen. In fünf oder sechs Jahren würde sie wieder zum Studieren wegziehen müssen, aber bis dahin will sie bestimmt gerne hier bleiben. Und wer weiß ob sie nicht als Erwachsene mit Familie zum Leben hierher zurückkehren wird.
,,Hey Fine! Wir wollen doch jetzt losfahren!", rufen drei junge Mädchen in Fines Alter auf der anderen Seite des Teiches, wo die Sprachdusche seit einiger Zeit Passanten beschallte. Schnell klappt sie ihr Buch zu und greift nach ihrer Tasche. Zumindest um mal so richtig ausgiebig shoppen zu gehen würden sie und ihre Freundinnen auch in Zukunft nach H. fahren, denkt Fine und läuft schmunzelnd auf die andere Seite des Teiches.
(Buch schlägt zu)